Sorgen vor einer Aufweichung des Importverbots chlorgebleichter Hühnchen aus den USA sind durchaus berechtigt. Aber das Chlorhühnchen hat sich während der kontroversen Debatte der vergangenen Monate derart aufgeplustert, dass es den Blick verstellt auf wichtige, in ihrer Wirkung vielleicht gravierendere Auswirkungen des Handelsabkommens. Nie zuvor wurde Verhandlungen über ein Handelsabkommen in Deutschland so viel Aufmerksamkeit zuteil, nie zuvor waren die daran geknüpften Hoffnungen so groß, nie aber waren auch die Befürchtungen so groß. Die einen erwarten ein wahres Wirtschaftswunder. Zum Beispiel legte das Münchener ifo Institut Zahlen vor, wonach dank TTIP das reale Pro-Kopf-Einkommen in Deutschland um etwa fünf Prozent steigen könnte. Die anderen fürchten Gentechnik auf dem Teller und den Verlust ihrer kulturellen Identität, sollten die Amerikaner die in Europa üblichen Subventionen und Quoten im Film- und Rundfunkbereich kippen wollen. Sollten. Denn kaum jemand weiß, was da eigentlich verhandelt wird, was in den Papieren steht. Unwissen erweist sich einmal mehr als bester Nährboden für Ängste wie für Illusionen.Die EU-Kommission veröffentlicht jetzt immer mal wieder Verhandlungsdokumente. Ihr Inhalt ist sehr vage, dennoch wird schnell klar: Amerikaner und Europäer arbeiten gerade am umfangreichsten Handelsabkommen der Geschichte. Sollte TTIP tatsächlich mal zustandekommen – nicht jeder in Brüssel würde derzeit darauf wetten –, dann wären 850 Millionen Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks sowie ein Drittel des Welthandels betroffen. Nicht der Abbau von Zöllen steht im Mittelpunkt; die sind schon heute vergleichsweise niedrig. Vielmehr geht es um die Angleichung oder zumindest gegenseitige Anerkennung von behördlichen Vorschriften, von Zulassungsverfahren für exportwillige Betriebe und Produktstandards. Will ein Unternehmen Wurst, Autos oder Lippenstifte in die USA exportieren, muss es sich heute sowohl von deutschen als auch von US-Behörden auf eigene Kosten prüfen und zertifizieren lassen. Das hält viele Klein- und Mittelständler vom Weg über den Atlantik ab.Wirtschaftsforschungsinstitute haben ermittelt, dass vor allem die Automobilindustrie mitsamt ihren Zulieferern vom Abkommen profitieren wird; etwa wenn die Vorschriften für Türschlösser, Bremsen, Sitze und Sicherheitsgurte beiderseits anerkannt werden. Und auch Anbietern von Versicherungsdienstleistungen werden sich mit dem transatlantischen Bürokratieabbau neue Märkte eröffnen. Dennoch beherrscht der Ekel vor dem Chlorhühnchen die Debatte – als würden europäische Hühner frei von Zusatzstoffen wie zum Beispiel Antibiotika auf grünen Wiesen glucken.
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